Das Lied des Waldes: Roman (German Edition) by Jahn Klara

Das Lied des Waldes: Roman (German Edition) by Jahn Klara

Autor:Jahn, Klara [Jahn, Klara]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2022-03-20T16:00:00+00:00


VERONIKA

Veronika schreckte aus dem Schlaf hoch. Kurz wusste sie nicht, wo sie war, aber die Bäume riefen es ihr zu. Ihr Rauschen wurde immer eindringlicher, als näherten sie sich gleich einer Flut, die das Haus einkreist und immer höher steigt. Veronika tippte kurz auf das Smartphone, das sie neben dem Bett abgelegt hatte. Es war noch nicht einmal Mitternacht und doch so stockdunkel, wie sie es aus Frankfurt nicht kannte. Zum Rauschen der Bäume gesellte sich ein Knarren, als streckten sich die vielen Holzbalken, zurechtgeschnitten für Böden, Dächer und Wände, und folgten dem Ruf des Waldes.

Sie selbst hingegen machte sich ganz klein, zog die Knie an und sagte sich, dass auch dieser Sturm vorbeigehen würde. Einschlafen konnte sie trotzdem nicht mehr. Das Rauschen wurde zu einem gleichmäßigen Hintergrundgeräusch, das Knarren im Gebälk verkam zu einem leisen Seufzen, aber da war noch ein anderer Laut, gerade darum alarmierend, weil er so leise war: ein Kratzen auf Holz, aber anders, als es Äste oder neugierige Tiere verursachten. Und als sie schon dachte, sie hätte sich es nur eingebildet, kamen plötzlich Schritte hinzu.

Unwillkürlich hielt sie den Atem an, und der Wald schien es ihr kurz gleichzutun. Umso lauter klang das dumpfe Geräusch, als jemand seine Faust gegen einen Fensterbalken der Stube krachen ließ. Veronikas Herzschlag dröhnte fast schmerzhaft in ihrer Brust.

Sie sog den Atem ein, sprang unwillkürlich auf, erstarrte dann.

Welcher Einbrecher wurde von diesem Haus schon an gelockt? Schon von außen konnte man deutlich sehen, dass es hier nichts zu holen gab. Aber vielleicht wollte der Mensch da draußen nichts stehlen, sondern einfach nur etwas kaputt machen.

Behutsam einen Fuß vor den anderen setzend, ging Veronika zum Fenster. Trotzdem ächzten die Dielen wieder, als wäre sie ihnen eine zu große Last.

Sie presste ihr Gesicht an die Scheibe, lugte nach unten. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Aber dass dort unten jemand Kreise ums Haus zog, das wusste sie genau. Und auch, dass Ben einen guten Grund hatte, wütend zu sein.

Sie trat zurück zum Bett und stellte mit einem Blick auf ihr Smartphone fest, dass es nun nach Mitternacht war und sie keinen Empfang hatte.

Allein der Gedanke daran, das Fenster zu öffnen, sich hinauszubeugen und auf eine Telefonverbindung zu hoffen, während Ben dort unten war, schien ihr unerträglich. Stattdessen schlich sie, das Gerät über dem Kopf hin- und herschwenkend, durchs Haus, auf der Suche nach Netz wie nach einer Wasserader. Zwischendurch lauschte sie immer wieder nach draußen. Der Schlag gegen den Fensterbalken wiederholte sich nicht, bedroht fühlte sie sich dennoch.

Als sie endlich aus dem Funkloch trat, war sie so erleichtert, dass sie gar nicht darüber nachdachte, welche Nummer sie wählte.

Eigentlich hatte sie die Polizei anrufen wollen. Erst als aus der Leitung ein verschlafenes »Vroni?« tönte, begriff sie, dass sie nicht den Notruf gewählt hatte, sondern Martins Nummer.

Es war Zufall, dass der Sturm genau dann nachließ, als er vorfuhr. Dennoch konnte sie sich nicht des Gefühls erwehren, dass der Wald allein durch sein Erscheinen bezähmt wurde. Die Bäume neigten sich nicht mehr zum Haus,



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.